31.10.2024 08:13
«Intelligenz statt Teer»
Am 24. November stimmt die Schweiz über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen ab
Die überparteiliche Allianz gegen den Autobahn-Ausbau lud zur Pressekonferenz. Das Komitee zeigte mögliche Konsequenzen bei einem JA an der Urne auf. Zahlen und Fakten, die zum Nachdenken anregen.
Frauenfeld Jede und jeder weiss es: Ein Umdenken muss her. Das Velo statt das Auto nehmen, sich bei Fahrten zusammenschliessen, die Zeit im Zug zum Arbeiten nutzen - Autofahren ist nicht gut. Punkt. Weder für die Umwelt, noch für sich selbst. Und doch will der Bundesrat 5,3 Milliarden Franken in den Ausbau von sechs Autobahn-Teilstücken investieren. Die Argumente gegen das Vorhaben sind nicht neu. Auch diese des überparteilichen Komitees nicht, welches zur Medienkonferenz einlud. Doch riefen sie die möglichen Konsequenzen eines Ausbaus ins Bewusstsein. Die Allianz, wie sich die Gruppierung nennt, besteht aus SP-Nationalrätin Nina Schläfli, Präsident der Grünen, Kurt Egger, Präsidentin von Pro Velo Thurgau, Vera Zahner, Christian Stricker, Co-Präsident der EVPThurgau, Peter Wildberger, Präsident des VCS Verkehrs-Club der Schweiz Sektion Thurgau und Stefan Leuthold, Präsident der GLP Thurgau.
Mehr Autos trotz Ausbau
Es werden nur so Zahlen und Fakten rausgeballert. Resultate aus Studien aus den USA zitiert und Statistiken auseinandergebeinelt. Zahlen und Fakten, die wehtun. 400'000 Quadratmeter Kulturland und Wald gehen beim Ausbau verloren. Aus Platzmangel kann den Landwirten keine Ausgleichsfläche angeboten werden. Betroffene Städte können ihre Klima- und Umweltziele nicht erreichen, und durch das Phänomen des induzierten Verkehrs wird es in wenigen Jahren mehr Autos denn je auf den Strassen haben. Die Stadtnähe der Ausbauprojekte bringt laut Nina Schläfli ein weiteres Problem mit sich: «Der Mehrverkehr muss von den betroffenen Städten aufgenommen werden.» Diese seien «fertiggebaut» und Platz für weitere Strassen gebe es nicht.
Dort wohnen, wo man arbeitet oder Homeoffice machen, sich bei Videocalls austauschen statt persönlich zu treffen und vor allem kürzere Strecken mit dem Velo zurücklegen. Alle «guten Vorsätze» machen Sinn, sind jedoch für viele nicht umsetzbar. Es wird immer Autos auf den Strassen haben. Die Menschen werden älter, fahren länger Auto. Die Karriere gewinnt an Bedeutung, Arbeitswege werden in Kauf genommen. Das so genannte «Umdenken » wird schwierig umzusetzen. Mittels Ausbau winzig kleiner Massnahmen könnte das Stauproblem zumindest ansatzweise behoben werden, ist Stefan Leuthold überzeugt. «Intelligenz statt Teer und Beton », so seine Parole. 105 Stundenkilometer statt 120 sorgen für einen gleichmässigeren Verkehrsfluss, dazu soll partiell der Pannenstreiffen geöffnet werden. Eine «Diamond-Line » , auf dieser Spur nur Fahrzeuge mit mehr als einem Insassen benutzt werden darf, wie sie in den USA besteht, kann Anreiz für eine gemeinsame Fahrt schaffen. Technologie könnte dazu Teil der Lösung sein, referiert Stefan Leuthold. Eine Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe wäre eine sicherlich umstrittene aber effektive Option. Sobald etwas Geld kostet, horchen die Menschen auf. «Big Brother ist watching you». Nina Schläfli winkt ab. Hinter solch einer Massnahme könne sie nicht stehen, wirft die Nationalrätin ein. Der Mediziner Peter Wildberger schnitt noch ein anderes Thema an: die Gesundheitsschädigung durch Lärm, Luftbelastung und Mikroplastik. Dass nicht nur die Umwelt und das Klima schaden nimmt, sondern vor allem der oder die Autofahrerin, sei vielen nicht bewusst. Vor allem der Pneuabrieb wird unterschätzt. «Vieles nimmt unsere Nase im Auto gar nicht wahr», so Wildberger. Die Zusammensetzung eines Autopneus ist ein Cocktail aus Plastik, Russ und einem Stoff namens 6PPD-Chinon, welcher Einfluss auf die Blut-Hirnschranke hat. «Der Stoff kann mitverantwortlich sein für Krankheitsbilder wie ADHS, Depressionen und Parkinson», so der Arzt.
Kein Verzicht
Vera Zahner geht einen Schritt zurück und spricht das Thema «Verzicht » an. Sätze wie «Ich verzichte aufs Auto», seien negativ behaftet. Die autofreie Fortbewegung soll vielmehr ein positives Gefühl wecken. 60 Prozent der Autofahrten bewegen sich auf weniger als zehn Kilometer. Eine Strecke, die von den meisten locker mit dem Velo zurückgelegt werden könnte. Sich entspannt auf den Arbeitstag einzustimmen und sich auf dem Heimweg auf den Feierabend zu freuen - ohne im Stau zu stehen und sich zu ärgern - diese Gefühle sollen geweckt werden.
Von Desirée Müller